Vortrag: Auf dem Weg zu einer Fehlerkultur

Am 2. März 2018 hatte ich die Gelegenheit, im Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie in Düsseldorf den Vortrag „Auf dem Weg zu einer Fehlerkultur“ von Markus Fäh aus Zürich zu hören. Fäh beschäftigte sich in seinem Vortrag damit, wie Psychoanalytiker in ihrer psychotherapeutischen Praxis und wie psychoanalytisch orientierte Institute als Organisationen eine gute Fehlerkultur entwickeln können und formuliert dazu u.a. die folgenden Fragen:

  • Wie lebenslang neugierig aufs Lernen bleiben?
  • Wie die Kränkung des „ewigen Anfänger-Seins“ aushalten?
  • Wie eine Kultur der Offenheit in Institutionen schaffen?
  • Wie den gefährlichen Eigendünkel – „Ich kann das schon, ich weiß genug!“ – überwinden?
  • Wie zur befreienden Akzeptanz der eigenen Unzulänglichkeit finden?

Jenseits der spezifischen Fragen, die sich aus der Natur der analytischen Psychotherapie ergeben – insbesondere der Aspekt ethischer Grenzverletzungen und Verstöße gegen die ganz grundlegende Abstinenzregel – enthielt der Vortrag eine ganze Reihe von interessanten Überlegungen, die auch für andere Berufe, Branchen und Unternehmen relevant sind. Auf diese gehe ich im Folgenden kurz ein.

Verfehlungen und Fehler

Fäh unterteilt Fehler anhand des Schweregrads ihrer Auswirkungen und der Art des Fehlers in folgende Kategorien:

  • Verletzung der Abstinenz bzw. von ethischen Normen
  • Strategische Fehler
  • Taktische Fehler
  • Alltägliche Verhaltens- und Umsetzungs-Fehler

Die erste Kategorie muss für andersartige Organisationen zumindest modifiziert werden, ist m.E. aber auch für Unternehmen relevant; man denkt z.B. unweigerlich an den Dieselskandal. Passende Stichworte sind hier: gesetzliche Regeln, Compliance, Unternehmenswerte, aber auch Mobbing, usw.

Fäh empfiehlt, ganz grundsätzlich zwischen

  • der Kategorie Verfehlungen, d.h. ethischen Grenzverletzungen bzw. Verfehlungen, Nichteinhaltung gesetzlicher Regeln, usw.
  • und der Kategorie Fehler, d.h. Irrtümer, Täuschungen, etc.

zu unterscheiden. Für den Umgang mit Fehlern (nicht den Verfehlungen) hält er eine gute Fehlerkultur für notwendig.

Fünf-Punkte-Programm

Fehlertoleranz ist laut Fäh die wichtigste Voraussetzung für eine gute Fehlerkultur. – Fehler sollten andererseits aber auch nur toleriert werden, wenn aufrichtig aus den Fehlern gelernt wird.

Darauf aufbauend entwickelt Fäh ein Fünf-Punkte-Programm:

  • Ent-Tabuisierung von Behandlungsfehlern:
    Fehlertoleranz kombiniert mit dem aufrichtigen Bemühen, aus Fehlern zu lernen
  • Authentische Falldarstellung:
    In der Literatur und auf Kongressen werden Fälle oft so dargestellt, dass der Autor/Referent in möglichst gutem Licht dasteht.
  • Intersubjektive Betrachtungsweise:
    Hierbei handelt es sich um eine spezifisch psychoanalytische Haltung und Arbeitsweise während der Therapie, die den ursprünglichen Ansatz von Freud, dass der Analytiker eine völlig neutrale Haltung einzunehmen habe, weiterentwickelt.
  • Entstigmatisierender und entmystifizierender Umgang mit Behandlungsfehlern:
    „Fehler sollten bei erfahrenen Analytikern nicht vorkommen!“ – Wenn doch ein Fehler passiert, kratzt das am Selbstverständnis „ich bin ein erfahrener Analytiker“.
  • Gründliche Fehleranalyse als Quelle für den Aufbau von Wissen nutzen

Dieses Programm kann man m.E. gut auch für andere Felder adaptieren; in aller Kürze könnte man es wie folgt formulieren:

  • Fehlertoleranz in Kombination mit dem Bemühen, aus Fehlern zu lernen
  • Authentische Beschreibung von Fehlersituationen ohne Beschönigung
  • Enstigmatisierender Umgang mit Fehlern: Fehler unterlaufen auch erfahrenen Experten
  • Gründliche und rigorose Fehleranalyse für den Aufbau von Wissen nutzen

Angst vor Fehlern

Eine wesentliche Ursache für den inadäquaten Umgang mit Fehlern und Widerständen bei der Einführung einer guten Kultur im Umgang mit Fehlern sieht Fäh in den durch eigene Fehler ausgelösten negativen Gefühlen und Affekten und dem Standard-Repertoir der psychischen Abwehr: Eigene Fehler können starke Gefühle von Schuld und Scham auslösen. Das Gefühl von Schuld entsteht aus den befürchteten und realen Auswirkungen eines Fehlers. Scham empfinden Menschen, wenn sie den eigenen Ansprüchen an sich selbst (“Ich-Ideal”) nicht genügen. Beide Affekte sind sehr unangenehm und Menschen wollen sie möglichst vermeiden. Die Angst davor, Fehler zu begehen oder einzugestehen, ist also eigentlich die Angst davor, sich schuldig zu fühlen oder Scham zu empfinden.

Fähs Fazit:

Es existiert kein angstfreie Fehlerkultur – aber eine aushaltbare.

Das ist m.E. eine sehr wesentliche Feststellung, denn sie verwandelt die Frage nach dem Weg zu einer guten Fehlerkultur in die Frage, wie man es schafft, eine Umgebung zu gestalten, in der die eigenen Gefühle von Angst, Schuld und Scham angesichts der eigenen Fehlerhaftigkeit ausgehalten werden können, sodass Fehler analysiert und aus ihnen gelernt werden kann. Darüber hinaus spielt hier auch die eigene charakterliche und persönliche Reife und Entwicklung der Betroffenen eine wichtige Rolle.

Gerade weil der Umgang mit eigenen Fehlern immer angstbeladen sein wird, hält Fäh es für wesentlich, das Wort und den Begriff „Fehler“ zu akzeptieren, um eine Sensibilität für Fehler zu erreichen. Zuallererst ist die Anerkennung wichtig, dass Fehler geschehen, dass man selbst fehlerhaft ist und handelt. Erst im zweiten Schritt kann (und sollte) man differenzieren.

Tools

Neben diesen grundsätzlichen bzw. theoretischen Überlegungen stellte Fäh zwei praktische Tools vor, die dabei helfen, mit eigenen Fehlern besser umzugehen und aus ihnen zu lernen:

Fehlerbiographie

Die eigene Fehlerbiographie aufzuschreiben, ist eine Übung, die dabei hilft, sich die eigene Fehlerhaftigkeit vor Augen zu führen und sich von der Vorstellung eigener Fehlerlosigkeit und Unfehlbarkeit zu verabschieden. Sie besteht einfach darin, aufzuschreiben, welche Umsetzungsfehler, taktische oder strategische Fehler man selbst am letzten Tag, in der letzten Woche, im letzten Monat, Jahr, usw. begangen hat.

Fehlergruppen

In einer Fehlergruppe geht es darum, sich gegenseitig eigene Fehler rigoros und authentisch zu erzählen. Ziel ist es, die Hemmschwelle zu verringern, vor anderen Menschen eigene Fehler zuzugeben. Mit der gemeinsamen Reflexion über die Fehler können die Teilnehmer neue Einsichten und neues Wissen erlangen.