Schnelles und langsames Denken /3: Die WYSIATI-Regel

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Teil 3 meiner Notizen zu Kahnemans Buch „Schnelles Denken, Langsames Denken“ 1 behandelt die WYSIATI-Regel: What You See Is All There Is.


Die WYSIATI-Regel besagt, dass das System 1 nur das berücksichtigt, was ihm bekannt ist: „Nur was man gerade weiß, zählt“ – Das hört sich erst einmal banal an, hat aber weitreichende Auswirkungen.

Was System 1 nicht weiß, macht es nicht heiß

System 1 macht sich keinerlei Sorgen darüber, dass es vielleicht nicht genug weiß oder dass es unbekannte Aspekte geben könnte, die eine Situation oder Bewertung in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen würden.

System 1 konstruiert aus den verfügbaren (aktivierten) Fakten eine kohärente Story und präsentiert diese System 2. „Informationen, die nicht (und sei es auch nur unbewusst) aus dem Gedächtnis abgerufen werden, existieren gewissermaßen nicht.“ (S. 109-110)

Das führt – sehr oft – zu voreiligen Schlussfolgerungen, wenn aus eigentlich sehr spärlichen Fakten trotzdem eine kohärente Geschichte konstruiert wird. Und es resultiert in Urteilsprüngen, wenn neue Fakten auftauchen, die nicht zur konstruierten Geschichte passen.

„Die Konsistenz der Informationen, nicht ihre Vollständigkeit, ist das, was für eine gute Geschichte maßgeblich ist. […] Es ist leichter, alles, was man weiß, in ein kohärentes Muster einzupassen, wenn man wenig weiß.“ (S.112)

Bedeutet: Wenn ich nur wenig weiß und mich durch mein System 1 führen lasse, dann ist die vom System 1 präsentierte Geschichte oftmals viel überzeugender, als auf der Basis der zur Verfügung stehenden Fakten, aus denen die Story konstruiert wurde, eigentlich gerechtfertigt wäre. System 1 wiegt mich in Sicherheit, obwohl ich mir eher ob der spärlichen Faktenlage Sorgen machen sollte. – Man kann dies auch als partielle Blindheit oder blinden Fleck verstehen. Es hilft noch nicht einmal, sich dieser partiellen Blindheit bewusst zu sein. System 1 wird trotzdem fortfahren, aufgrund der aktivierten Fakten eine kohärente Geschichte zu präsentieren. Das einzige, was hilft, ist System 2 zu aktivieren und die von System 1 präsentierte Story zu hinterfragen; das ist anstrengend und ermüdend und kostet Zeit. Es fällt viel leichter und fühlt sich angenehmer an, unreflektiert der konstruierten Story zu folgen.

Durch partielle Blindheit verursachte Fehler

Mit WYSIATI lassen sich viele Urteils- und Entscheidungsfehler erklären:

  • Selbstüberschätzung:
    Durch begrenztes Wissen und Unterdrückung von Zweifeln und Ambiguität .
  • Framing-Effekte:
    Urteile auf der Basis des Dargebotenen.
  • Basisratenfehler:
    Die zugrundeliegende Wahrscheinlichkeit wird zugunsten der kohärenten Story vernachlässigt.

Daher ist es z.B. wichtig, vor Entscheidungen immer mehrere Seiten zu hören bzw. Perspektiven zu würdigen.


  1. Kahneman, D., & Schmidt, T. (2012). Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler Verlag.