Narrative über die Corona-Krise
Fritz Breithaupt „lehrt Literatur- und Kognitionswissenschaft an der Indiana University Bloomington”. In der ZEIT vom 23.04.2020 meldet er sich mit einem Beitrag1 (online abrufbar) zu Wort, der mögliche Narrative über die Corona-Krise für die Zeit nach Überwindung dieser Krise benennt und den Hochschulen eine bestimmte Haltung empfiehlt. Ich denke, diese Empfehlung lässt sich zwanglos auch auf andere Organisationen bzw. Unternehmen übertragen; daher hier eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte seines Beitrags, der sich in der Print-Ausgaben leider ein wenig versteckt, direkt über dem Stellenmarkt, findet.
Breithaupt benennt fünf mögliche Narrative, die sich für ihn jetzt schon abzeichnen:
- Corona als „Delle“, dann Wiederkehr der Normalität: „Alles soll schnell wieder sein wie zuvor.“
- Aufstieg der totalen Kontrolle: „Apps kontrollieren jede Bewegung, […] Gesetze zum Datenschutz werden aufgeweicht.“
- Die Stärke der kollektiven Kontrolle gewinnt: „Gewinner ist eine Menschlichkeit, die Verwundbarkeit zulässt.“
- Depression: „Wir zappeln in einem Netz, in dem wir nur Abwesenheiten spüren.”
- Versagen der egomanischen Mächtigen: „Befürworter der weltweiten Kooperation werden stärker; Wissenschaft und Vernunft gewinnen.”
Weiter schreibt er dazu, und das halte ich für wichtig :
„Dabei bestätigt der Verlauf der Krise selbst nicht das eine oder andere Narrativ; vielmehr haben alle fünf eine gewisse Gültigkeit und werden sie behalten. Entscheidend ist, welches Narrativ Menschen leben und erzählen.“
(Hervorhebung durch mich)
Breithaupt treibt natürlich die Frage um, wie Hochschulen mit der Krise umgehen und welche Rollen (mit den dazugehörigen „Handlungspotenzialen“) sie in der Krise ihren Studierenden geben; er glaubt, dass
“je mehr die Studierenden sich jetzt als Handelnde begreifen können, desto wahrscheinlicher werden auch ihre Narrationen Erzählungen mit Zukunft sein”
(Hervorhebungen ebenfalls durch mich)
Ich möchte hier lediglich die Perspektive erweitern – der Beitrag von Breithaupt spricht für sich selbst und besser, als ich es ausdrücken könnte:
Ersetzen Sie bitte in Gedanken „Studierende“ durch „Mitarbeiter“ und „Hochschulen“ durch „Unternehmen“ bzw. Führungskräfte. – Dann erhalten Sie einen Maßstab, der Ihnen jetzt in der Krise als Kompass für Ihr Handeln dienen kann; jedenfalls dann, wenn sie glauben, dass es wichtig ist, dass Ihre Mitarbeiter an eine Zukunft (für das Unternehmen, für das sie arbeiten) glauben.
Weiten Sie den Horizont bitte noch ein wenig weiter auf die gesamte Gesellschaft aus und Sie erhalten einen Bewertungsmaßstab für die nächsten Maßnahmen der folgenden Monate, wie auch immer sie aussehen werden und was auch immer sie uns an Mitwirkung und Einschränkungen abverlangen mögen.
Mit Breithaupt argumentiert: Je mehr sich Mitarbeiter in Unternehmen bzw. wir uns als Bürger in der Gesellschaft als Handelnde (und nicht als „Behandelte“) erleben, um so mehr werden Mitarbeiter und Bürger (für) die Zukunft leben und so Erzählungen mit Zukunft konstruieren.
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Breithaupt, F. (2020, April 23). Corona-Krise: Erzählt die Zukunft. Abgerufen 26. April 2020, von zeit.de/2020/18/corona-krise-studierende-professoren-narrative ↩