Die Schöpfungsgeschichte als Projektmetapher

Sonne hinter Wolken - Symbolbild
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„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag.

[…]

Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut. Es wurde Abend und es wurde Morgen: der sechste Tag.
So wurden Himmel und Erde vollendet und ihr ganzes Gefüge.

Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte.“ 1

Die Schöpfung als gelungenes Projekt

Warum – um Himmels willen! – glaube ich, dass sich die biblische Schöpfungsgeschichte als Metapher für Projekte eignet?

Die Ähnlichkeit drängte sich mir förmlich auf:

  • Ebenso wie ein Projekt hatte die Schöpfungsgeschichte einen definierten Anfang, eine Laufzeit und ein Ende.
  • Die Schöpfung, jedenfalls die uns bekannte, war eine einmalige und einzigartige Angelegenheit mit zunächst ungewissem Ausgang – Ja, das ist auch bei Projekten der Fall! Glauben Sie niemandem, der etwas anderes behauptet.
  • Zu Beginn der Schöpfungsgeschichte war noch relativ nebulös, worauf es schließlich hinauslaufen würde. Vieles war unklar und widersprüchlich: War der Himmel nun von Anfang an da oder wird er erst am zweiten Tag geschaffen? – So starten auch viele irdische Projekte.
  • Den ersten Tag könnte man auch als Klärung des Projekt-Scopes verstehen (Licht = „im Scope“, Finsternis = „out-of-scope“). – Wobei ich auch Projekte kenne, in denen sich diese Klärung über das erste Projektdrittel hingezogen hat.
  • Auch der biblische Gott 2 arbeitete schon agil oder zumindest in Inkrementen. Er unterteilt das gesamte Projekt in einzelne Sprints – die Sprintlänge von einem Tag ist allerdings sportlich.
  • Und er evaluierte den Projektfortschritt regelmäßig in einem Sprint Review: „Gott sah, dass es gut war“ und ähnliche Formulierungen stehen dafür. Da Gott nun mal Gott ist, musste er nichts nacharbeiten oder in weiteren Sprints inkrementell verbessern. So leicht haben wir Irdische es nicht. Wir machen unvermeidlich Fehler, die wir in nachfolgenden Phasen verbessern müssen: Nur 15 Sterne sind für das ganze große Firmament vielleicht doch zu wenig. Und die erste Version des Mondes wäre bei uns garantiert zu groß oder zu klein geraten, eiförmig statt rund und in einer nicht völlig überzeugenden lindgrünen Farbe ausgefallen.
  • Interessanterweise gerät auch Gott der letzte aktive Tag völlig aus den Fugen: Was er am sechsten Tag noch alles erschaffen und regeln muss, hat einen mindestens doppelt so großen Umfang wie jeder der vorausgegangenen fünf Tage – kommt Ihnen das aus Projekten nicht bekannt vor?
  • Und zu guter Letzt: Nach dem Ende des Projektes „Schöpfung“ ging der Schlammassel erst so richtig los. Sie erinnern sich: Paradies, Vertreibung aus demselben, Kain und Abel, Hiob, Sintflut und Arche Noah, usw – die Bibel bietet viele Beispiele für die Auswirkungen von technischen Schulden und Design-Fehlern.

Zwei Aspekte, die Ihnen vielleicht nicht sofort ins Auge fallen, die mir bei dieser Metapher aber vor allem für Projekte und die Projektarbeit wichtig sind:

Gut genug

Bis auf die Würdigung des Gesamtergebnisses – dort wird „sehr gut“ verwendet, nun ja, manche Projekte sind zum Erfolg geradezu verdammt – heißt es immer sinngemäß „Gott sah, dass es gut war“. Und nicht etwa: überragend, bestens, nahezu perfekt, großartig, göttlich, usw.

Und wenn ein gut schon dem biblischen Gott genügt: Müssen wir uns dann immer so hohe Ziele setzen? Können wir bei den eigenen Qualitätsansprüchen nicht nachsichtiger mit uns sein? Könnte nicht ein „gut genug“ reichen? Und sollten wir nicht lernen, zu überzogenen Ansprüchen an uns, die nur durch Selbstoptimierungsorgien zu befriedigen sind, nein zu sagen?

Gut ist nicht schlecht, sondern gut. Wenn als Summe von vielen gut ein sehr gut herauskommt, kann man auf das Prädikatsexamen, zumindest bei Projekten, problemlos verzichten.

Und am siebten Tage sollst Du ruhen

Nachdem er volle 6 Tage von morgens bis abends gearbeitet hatte, ruhte der biblische Gott am 7. Tag. Sein himmlisches Consulting-Unternehmen kalkulierte also mit einer Auslastung von 85% (unter der impliziten Annahme, dass er am 8. Tag das nächste Schöpfungsprojekt in Angriff nahm).

Erbrächten wir heute Professional Services in der gleichen Weise , dann würden wir, nachdem wir 6 Monate an einem Projekt zu 100% gearbeitet habe, das danach abgeschlossen ist, anschließend einen kompletten Monat ruhen.

Erst vollendete der Gott der Bibel am 7. Tag aber noch sein Werk; was auch immer er dabei machte geht aus der Bibel allerdings nicht hervor (Geschäftsgeheimnis).

Für unsere irdische Projektarbeit schlage ich aktives Ausruhen vor:

Ist mir im Projekt etwas Neues untergekommen, was ich nicht weiterverfolgen konnte, weil es für das Projekt nicht relevant war? Jetzt hätte ich Zeit dazu, mich damit zu beschäftigen. Ich könnte einen Blog-Artikel schreiben. Eine Fortbildung absolvieren. Mich mit den Kolleg:inn:en austauschen. Mich ehrenamtlich engagieren. Mich treiben lassen und nicht auf Ideen warten – wenn aber eine vorbeikommt, hätte ich die Muße, mich ihr zu widmen. Mich selbst erfahren. Auf dumme Ideen kommen und ihre großen Früchte ernten. Wachsen. Kraft schöpfen für das nächste wichtige Projekt.

Sie sagen, diese Ruhephasen 3 gibt es bei Ihnen nicht? – Und dann wundern Sie sich, dass Ihr Unternehmen es bei der Ausschreibung des Auftrags über die nächste Schöpfung nicht einmal auf die Shortlist geschafft hat?

Soweit für jetzt.


  1. Universität Insbruck. (o. J.). Das Buch Genesis, Kapitel 1 – Universität Innsbruck. Abgerufen 9. Oktober 2020, von uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/gen1.html 

  2. Nein. Der Projektmanager eines Projektes ist nicht das Pendant zum biblischen Gott in der Schöpfungsgeschichte. 

  3. Die Retrospektive in Scrum könnte man übrigens als einen eher halbherzigen und nicht überzeugenden Versuch interpretieren (zu kurz und leider Pflichtprogramm im agilen Projekt), den Controllern unter uns eine solche Ruhephase unterzuschieben, ohne dass sie es merken (sagen Sie es ihnen nicht!). 

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