Einfach mal machen
Einfach mal machen! – Ein Kampfruf, den ich nicht mehr hören kann. Er adressiert irgendwie die Themenbereiche Agilität und Lean Start-ups und richtet sich gegen vermeintliche Bedenkenträger oder Unternehmens-Tanker mit ausufernden Entscheidungsabläufen, die nie zum Ende kommen – jedenfalls nicht rechtzeitig. Ohne Kontext ist der Slogan im Grunde genommen einfach nur blöd: hervorragend geeignet für die zahllosen Fremdschämvideos, die in den Medien kursieren, in denen vor allem unreife junge Männer einfach mal was machen.
Das Problem ist das irgendwie und, das ist jetzt eine Unterstellung meinerseits, die damit verbundene Gedankenlosigkeit und Denkfaulheit.
Einfach…
Wenn mit dem Slogan irgendwie “agiles Handeln” gemeint ist: genau das ist nicht einfach.
Im agilen Manifest ist zwar Einfachheit eines der 12 Prinzipien1:
Einfachheit – die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren – ist essenziell.
Ausdrücklich ist aber von der Kunst der Einfachheit die Rede. Hier führt das deutsche Wort einfach einfach in die Irre. Gerade Einfachheit kann sehr schwierig umzusetzen und zu erreichen sein.
Scrum und Kanban sind zwar als Rahmen bewusst einfach gehalten, aber “schwierig zu meistern”2.
Nicht nur Start-ups müssen sich das Scheitern, wenn sie einfach mal was machen, auch leisten können. Ohne ausreichende (finanzielle) Ressourcen ist das das Gegenteil von einfach.
…mal…
Mal wie in “einmal ist keinmal” oder wie “ist ja nicht so wichtig” oder “ohne Plan drauflos”?
Zugegeben, langfristige Pläne haben heute eine sehr kurze Halbwertszeit, aber planlos vorzugehen halte ich für keine erstrebenswerte Alternative. Viele meinen, agile Methoden kennen keine Planung? Das würde wohl ziemlich schnell im Chaos enden. Nein, die Planung ist nur sehr effektiv und erzeugt wenig Overhead. Sie wird immer wieder, regelmäßig und in möglichst kurzen Abständen überprüft und angepasst. Das ist ein großer Unterschied.
Darüber hinaus ist Verniedlichung als Maxime keine gute Idee. Als Alternative schlage ich ein angemessenes Risikobewusstsein vor – der bewusste Umgang mit Risiken ist das beste Mittel dagegen, ihre Auswirkungen zu spüren, wenn sich ein Risiko als Tatsache in der Realität manifestiert.
…machen!
Eine Technologie hat das Potential, 90% aller menschlichen Arbeit überflüssig zu machen? Man weiß es noch nicht so genau. – Einfach mal machen!
Machen statt Denken also? Langsames Denken3 ist anstrengend und unpopulär. In unserer heutigen komplexen Welt kann man sich ja sowieso nicht sicher sein, was aus irgendetwas, das ich mache, folgt. Dann ist es doch egal, wir probieren es einfach aus. Der Markt wird’s schon richten bzw. zeigen, was richtig (= erfolgreich) ist und was falsch (= nicht erfolgreich) ist.
Ethische Bedenken über Bord geworfen und schon macht es sich viel leichter. Dann wird der Erfolg (am Markt) das einzige normative Kriterium für Entscheidungen? Darüber kann und sollte man schon einmal ein wenig nachdenken, bevor man handelt.
Was dann?
Denken – zumindest das langsame – ist anstrengend, also auch eine Tätigkeit (= machen).
Natürlich muss man, außer nachzudenken, in der Außenwelt handeln, um etwas zu bewirken. Und Entscheidungen muss man meistens ohne komplette oder zumindest ausreichende Informationen treffen. Aber man muss es sich damit auch nicht zu einfach machen, indem man einfach mal macht.
Neben dem prinzipiellen Problem mit einfachen Slogans und Schlachtrufen – dass sie die Komplexität der Realität übermäßig vereinfachen, damit sie eingängig sind, sich leicht merken lassen und man nicht schon vom Feind überrannt wird, bevor man den Schlachtruf zu Ende gebracht hat – ist vor allem der Kontext wichtig. Im richtigen Umfeld bzw. der passenden Situation geäußert, ist die Forderung “Wir sollten einfach einmal anfangen und machen” durchaus richtig. Vieles kann man noch so sehr durchdenken, man weiß erst, wie es sich in der Realität bewährt, wenn man es praktisch tut. So weit ist das noch ein Allgemeinplatz, über den man nicht diskutieren muss.
Wann und unter welchen Umständen passt diese Maxime denn nun?
Ohne den Rahmen dieses Beitrags zu sprengen, kann man sagen, sie passt dann, wenn es um ein Spiel geht, bei dem man gewinnen, aber auch verlieren kann, und bei dem die Auswirkungen eines verlorenen Spiels nicht lebensbedrohlich oder von ähnlicher Tragweite sind. Wenn ich mich beispielsweise in einem Verkehrsflugzeug im Landeanflug auf Frankfurt befinde, dann möchte ich nicht, dass der Pilot einfach mal macht; dann fühle ich mich mit einem geplanten und immer wieder geübten Ablauf, der alle möglichen Eventualitäten berücksichtigt, am besten. Zugegeben, der Vergleich hinkt: Was gäbe es mit “einfach mal machen” in dieser Situation auch zu gewinnen?
Der spielerische Aspekt ist wichtig und rechtfertig im Übrigen auch das Titelbild zu diesem Beitrag als Metapher.
Situation für etablierte Unternehmen
Ein etabliertes Unternehmen hat etwas zu verlieren und setzt aus gutem Grund nicht alles auf eine Zahl. Um im Bild zu bleiben: Sie verlassen das Casino und gehen nach Hause, bevor Sie zu viel verlieren. Das bedeutet, sich vorher zu überlegen, welches Risiko man eingeht, wieviel man investieren will und wo das Limit liegt. Wieviel “Spielgeld” habe ich zur Verfügung und was bedeutet das, was ich neu und anders versuchen will, für mein bisheriges Geschäft? – Wenigstens so weit sollte ich denken, bevor ich dann die Zügel locker lasse, um spielerisch neue Möglichkeiten zu erkunden.
Nach diesen Überlegungen stellt in diesem Umfeld die Herstellung einer unverkrampften Atmosphäre, in der innerhalb der gesetzten Grenzen risikofreudig experimentiert werden kann, sicher die größte Schwierigkeit her. In solchem Kontext ist die Forderung danach, einfach mal zu machen und nicht alles vorher bis ins Kleinste zu durchdenken, am ehesten gerechtfertigt. Mit der Forderung ist es aber nicht getan, die eigentliche Schwierigkeit in diesem Umfeld besteht ja gerade darin, das gewohnte Vorgehen zu vergessen und es anders – eben spielerisch – anzugehen. Da ist die Aufforderung, einfach mal zu machen, genauso sinnvoll wie der Rat an einen Messie, seine Wohnung aufzuräumen und auch mal etwas wegzuwerfen. – Man muss zumindest einen gangbaren Weg aufzeigen, auf dem man sich diesem Ziel nähert.
Start-ups
Demgegenüber richtet sich die Mahnung, etwas zu wagen, sicher nicht an Start-ups: die machen ja meistens genau das, sie probieren aus, was funktioniert und was nicht. Da sie vorher am Markt nicht präsent waren, können sie eigentlich nur gewinnen – im schlechtesten Fall verlieren die Investoren und Gründer ihr eingesetztes Kapital und die Mitarbeiter suchen sich einen neuen Arbeitsplatz.
Aber auch Start-ups sollten nachdenken, bevor sie etwas tun: Was heißt das und welche Auswirkungen hat es, wenn wir mit dem, was wir vorhaben, erfolgreich sind? – Kein Mensch kann in die Zukunft sehen? Richtig! Aber wir verfügen über Vorstellungskraft, die wir nutzen sollten. Wenn uns das, was wir imaginiert vor uns sehen, nicht gefällt, können wir versuchen, rechtzeitig gegenzusteuern. Hier gilt es, vom Ende her zu denken.
Ist das alles?
Wenn man schon nicht auf einen Slogan verzichten möchte, wie wäre es denn mit folgendem?
Nachdenken und dann machen!
Viel weniger prägnant wäre der nicht. Aber er klingt nicht modern, erinnert an das Sprichwort “Erst denken, dann handeln!” und drängt sich als Parole für jegliche Art von Disruption nicht gerade auf. Ich würde es allerdings positiver framen: Mit diesem Slogan verliert man nicht so schnell die Bodenhaftung und rennt nicht jeder Managementmode hinterher. Trotzdem ein zweiter Versuch:
Nachdenken und agil handeln!
Schon mal nicht schlecht. Denkt man für “agiles Handeln” dann noch “Inspect and Adapt” (12. Prinzip im agilen Manifest) mit, so landet man schließlich bei:
Nachdenken, handeln, untersuchen und anpassen!
Klingt auf Deutsch lahm, ist aber ins Englische übersetzt schon fast als Schlachtruf geeignet:
Think, act, inspect, and adapt!
Wenn Sie erlauben, würde ich gerne noch act durch play ersetzen, um die spielerische Perspektive zu betonen:
Think, play, inspect, and adapt!
Erinnert Sie das jetzt an den PDCA-Zyklus und denken Sie an Deming? – Weit davon entfernt ist es jedenfalls nicht und Deming keine schlechte Referenz.
Soweit für jetzt.
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Beck, K., Beedle, M., Bennekum, A. van, Cockburn, A., Cunningham, W., Fowler, M., … Thomas, D. (2001). Manifest für Agile Softwareentwicklung - Prinzipien hinter dem Agilen Manifest. Abgerufen 6. Januar, 2018, von agilemanifesto.org/iso/de/principles.html ↩
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Schwaber, K., & Sutherland, J. (2017, November). Der Scrum Guide - Der gültige Leitfaden für Scrum: Die Spielregeln [PDF]. Abgerufen 6. Januar, 2018, von scrumguides.org/docs/scrumguide/v2017/2017-Scrum-Guide-German.pdf ↩
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Kahneman, D. (2012). Schnelles Denken, langsames Denken. München, Deutschland: Siedler Verlag. ↩
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