Was nützt BWL bei Entscheidungen unter Ungewissheit?
Eigentlich geht es in diesem Interview1 in der ZEIT um die Weiterentwicklung des Studiums der Betriebswirtschaftslehre. Interessant ist, wie Burkhard Schwenker das Fach in den aktuellen Kontext der Corona-Pandemie einbettet. Zunächst benennt er, dass „Effizienz vollkommen überschätzt worden ist“ – das wird Controller nicht freuen, ist aber für nicht betriebswirtschaftlich ausgebildete Praktiker, zumal mit agilem Hintergrund, keine wirkliche Neuigkeit.
Was er zu Entscheidungen zu sagen hat, ist für alle, die sich schon einmal mit dem Cynefin-Framework auseinandergesetzt haben, auch nicht neu, aber gut dargestellt. Auf die Frage, ob man mit Ungewissheiten wie der Corona-Pandemie umgehen können, antwortet er:
„Es gibt drei Arten von Entscheidungen. Erstens die Entscheidung unter Risiko, bei der man verschiedene Alternativen hat und sich ausrechnen kann, welche die bessere ist. Dann gibt es die Entscheidung unter Unsicherheit, da kennt man die Alternativen noch, aber nicht mehr, wie wahrscheinlich diese sind. Bei Ungewissheit ist beides offen, Alternativen und Wahrscheinlichkeiten. Deswegen sind diese Situationen so schwierig, aber ja, man kann damit umgehen.“
Er rät dazu, die betriebswirtschaftlichen Methoden nach ihren Prämissen zu hinterfragen, also den Randbedingungen, unter denen sie überhaupt gelten. Darauf aufbauend könne man dann auch unter Ungewissheit Szenarien entwickeln, die er „Zukunftsbilder“ nennt.
Er setzt dies dem „agilen Management“ gegenüber, wie es von Frau Lübke genannt wird; sie meint damit die Praxis vieler moderner Manager, „sich lange nicht festzulegen und möglichst kurzfristig zu reagieren“. Schwenker kritisiert diese Haltung und meint, dass „zu viel Flexibilität auch zu Beliebigkeit führen [kann], spätestens dann, wenn man eine Entscheidung immer weiter aufschiebt, um sich alles offenzuhalten. Wenn ich für alles bin, bin ich eigentlich für nichts, vollkommen beliebig.“ – sehr richtig, wie ich hier finde. Verhielten sich Manager derart, gehe dadurch ein wichtiger Führungsaspekt verloren: „Orientierung zu geben.“
Zahlen könnten heute keine Orientierung mehr geben (auch das wird Controller nicht freuen), „weil einem die Zahl schon morgen auf die Füße fallen kann“. An ihre Stelle, glaubt Schwenker, müsse das Szenario einer für möglich gehaltenen Zukunft treten:
„Es gibt Orientierung, wenn man ein Zukunftsbild vertritt.“
Allerdings müsse man transparent kommunizieren, dass man sich bei dem verfolgten Zukunftsbild auch irren könne.
Sein „Zukunftsbild“ erinnert an die „Narrative“, die man aktiv durch eigenes Führungshandeln in Organisationen etablieren kann, und über die ich auch ein #Bit geschrieben habe. Identisch sind die beiden Begriffe nicht, zu einem Szenario gehören mehr handlungsleitende Elemente, die den konkreten Kontext eines spezifischen Unternehmens berücksichtigen.
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Lübke, F. (2020, Mai 11). Es geht darum, Denken gelernt zu haben: Der Unternehmensberater Burkhard Schwenker kritisiert Deutschlands beliebtestes Studienfach: Die Betriebswirtschaftslehre. Abgerufen 19. Mai 2020, von zeit.de/2020/20/betriebswirtschaftslehre-kritik-verstaendnis-flexibilitaet-coronavirus ↩